L7 Aristoteles Popper Analytizität

Aristoteles über Begriffsanalytizität

Paul Natterer

2009
6 Seiten
Sprache: Deutsch
Reihe: Aufsätze zur Logik und Wissenschaftstheorie
Ausgabe: PDF-Datei
Format: DIN A4

 

Datenübertragung:

Aristoteles über Begriffsanalytizität

Artikelbeschreibung

Eine vielverhandelte Frage in der nachklassischen formalisierten Logik ist die nach der Möglichkeit einerseits allgemeingültiger materialanalytischer Denkinhalte (Definitionsregeln und Prädikatorenregeln), und andererseits eines allgemeingültigen formalanalytischen Inventars (logische Funktoren, Aussageformen und Schlussregeln) außerhalb der Konsequenzlogik, die in allen ihren synthetischen Erweiterungen (Modelle, Theorien) Geltung besitzen. Dies ist die Frage nach der Möglichkeit (1) intensionaler logischer Wahrheit, Implikation und Äquivalenz (L-truth) in den Intensionen von Designatoren (vgl. Carnap: Meaning and Necessity, 2. Aufl. Chikago. 1956, 1, 6, 228) und (2) formalanalytischer Wahrheit von logischen Konstanten (Konnektiven) (vgl. Carnap 1956, 222) – unterschieden von (3) extensionaler faktischer, synthetischer materialer Wahrheit, Implikation und Äquivalenz (vgl. Carnap 1956, 1–7). Designatoren sind (a) deklarative Sätze (propositions), (b) Individualkonzepte, (c) Prädikatoren (properties) und Abstraktoren (abstract expressions, z.B. Begriff, Zahl, Menge, Gattung ...). Es ist also die Frage nach der Möglichkeit materialanalytischer Allgemeingültigkeit betreffs logischer Intensionen und semantischer Regeln, sowie formalanalytischer Allgemeingültigkeit betreffs logischer Aussageformen und Operationen.

Hier zeigte sich in der Grundlagenforschung des 20. Jahrhunderts Folgendes: Trotz der Unmöglichkeit einer scharfen Trennung analytischer Vernunftwahrheiten und synthetischer Tatsachenwahrheiten in der Umgangssprache, ist die Unterscheidung methodologisch unverzichtbar (analytische Wahrheit ist relativ zu einem stets vorauszusetzenden definierten Bezugssystem) und somit erkenntnistheoretisch Fakt: "Quines Behauptung, daß es für Natursprachen keine exakte Grenze zwischen analytischen und synthetischen Aussagen gibt, kann als ... ausreichend gesichert angenommen werden [...] Analytische Sätze gibt es nur relativ zu einem ... Bezugssystem“, d.h. „auf eine Sprache ..., die in bestimmter Weise interpretiert ist, deren logische und deskriptive Konstanten also eine feste Bedeutung haben“ wie in Logik, Mathematik und Wissenschaftssprachen (Kutschera: Sprachphilosophie, 2. Aufl. München 1975, 115–116).

Dann gilt aber: "Die allgemeinsten Begriffe wissenschaftlicher Theorien und die Sätze, in denen sie vorkommen, sind allgemein im strengen Sinne und nicht von bloß numerischer, extensional zu interpretierender Allgemeinheit (Popper 1935 [Logik der Forschung, Wien], Kap. 3, §§ 13–15) Sie können als Meinungspostulate nur begriffsanalytisch determiniert werden (Carnap 1947 [Meaning and Necessity, Chicago])“ (Seebohm: Philosophie der Logik [Handbuch der Philosophie Bd. 5], Freiburg/München 1984, 51). Vgl. auch Schulz: Wie sind analytische Sätze a priori möglich? In: Kant-Studien 59 (1967), 499–519; Churchland: A Neurocomputational Perspective. The Nature of Mind and the Structure ofScience, Cambridge (Mass.)/London (Engl.) 1992, 139–151, 281–295; Linsky / Zalta: Naturalized Platonism vs. Platonized Naturalism. In: Journal of Philosophy 92 (1995), 525-555; Boghossian/Peacock: New Essays on the A Priori, Oxford 2000.

Neben Carnap war Popper hier der Vordenker (Logik der Forschung, 9. Aufl. Tübingen. 1989, 34–41 und überhaupt Kap. 3. Theorien (31–46)) und (1989, 376–396: Anhang *X: Universalien, Dispositionen und Naturnotwendigkeit) betreffs der methodischen Undurchführbarkeit,

Universalien mit Hilfe von Individualien zu definieren. Man hat das oft übersehen, meinte, es sei möglich, durch 'Abstraktion' von den Individualien zu Universalien aufzusteigen. Diese Ansicht hat viel Verwandtes mit der Induktionslogik, mit dem Aufsteigen von besonderen Sätzen zu allgemeinen Sätzen. Beide Verfahren sind logisch undurchführbar.“ (Popper 1989, 37)

Und: „Alle ... Theorien beschreiben das, was wir als strukturelle Eigenschaften der Welt bezeichnen können, und sie überschreiten stets den Bereich möglicher Erfahrung.“ – Sie können nicht induktiv, d.h. numerisch-statistisch abgeleitet werden, „denn die Beschreibung und Überprüfung jedes einzelnen Falles setzt ihrerseits schon Strukturtheorien voraus.“ (Popper 1989, 376–377)

Dies gilt nicht nur für wissenschaftliche Theorien, sondern auch für die alltägliche Erfahrung: „Fast jede unserer Aussagen transzendiert die Erfahrung [...] Wir bewegen uns in Theorien, sogar dann, wenn wir die trivialsten Sätze aussprechen [...] Denn selbst gewöhnliche singuläre Sätze sind stets Interpretation der 'Tatsachen' im Lichte von Theorien. (Und das gilt sogar für die jeweilige 'Tatsache'. Sie enthält Universalien, und wo Universalien gelten, liegt immer gesetzmäßiges Verhalten vor.)“ (Popper 1989, 377–378)

Die moderne Diskussion kommt mit dem Grundbuch der Wissenschaftstheorie, den aristotelischen Zweiten Analytiken überein: Die  ultimativen irreduziblen Ausgangspunkte methodischen, wissenschaftlichen Argumentierens und Beweisens sind dort (materiale und formale) apriorische Prinzipien und Setzungen. Auf diese bezieht sich der programmatische erste Satz der Zweiten Analytiken: „Jeder Diskurs in Lehre und Wissenschaft entsteht aus vorausliegendem Prinzipienwissen.“ (I, 1, 71 a 1–2; Übersetzung von Verf./P.N.). Hierzu mehr in diesem Skript.