Aufsätze zur Klassischen Philologie und Orientalistik
Platonische Rhetorik: Dialog Gorgias
Paul Natterer
Aufsätze zur Klassischen Philologie
2008
6 Seiten
Sprache: Deutsch
Ausgabe: PDF-Datei
Format: DIN A4
Datenübermittlung:
Platonische Rhetorik: Dialog Gorgias
Artikelbeschreibung
Platon und mit ihm die Philosophie setzt sich in zwei Schriften mit der Rhetorik auseinander: in den Dialogen Gorgias und Phaidros. Sie finden die Rhetorik als Bildungs- und Lebensziel der Zeit vor. Sie ist geradezu deren Idol und versteht sich als Einheit von Denken und Sprechen, d. h. von Philosophie und Rhetorik. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Redetechnik. Sokrates und Platon verstehen im Grunde ihre Philosophie auch als Einheit von Denken und Sprechen. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Philosophie, dem richtigen Denken und Handeln: Philosophie und besonders Ethik ist Lebensorientierung und Bedingung echter Rhetorik.
Nach Platon ist Beweggrund und Ziel der echten Rhetorik das Geltendmachen der verpflichtenden Macht und Bedeutung sittlicher Ideen und der sittlichen Bestimmung des Menschen. Die Anerkennung der ethischen Grundwahrheiten ist der Weg zu einem glücklichen Leben in Gemeinschaft mit den anderen Bürgern im Staat. Der Dialog Gorgias gilt andererseits aber auch als Spitzenleistung in Sachen Rhetorik und fesselnder dramatischer Gesprächsführung voller Esprit und Stil. Aristoteles erzählt, dass ein korinthischer Landbesitzer durch dessen Lektüre so gepackt und überzeugt wurde, dass er seinen Hof verließ und um Aufnahme in die platonische Akademie bat (Bekker: 1484 b15).
Diese echte Rhetorik ist – so Sokrates / Platon im Gorgias – nicht massentauglich. Die Gruppe der Philosophen steht deswegen bis auf weiteres im staatlichen Leben grundsätzlich abseits. Sie ist aber dennoch das Herz oder die Lebensmitte des Staates, als Salz und Sauerteig des Ganzen. Allerdings hält Platon nach entsprechender philosophischer und ethischer Vorbereitung politischen und rhetorischen Einsatz für durchaus möglich und richtig. Diese Voraussetzungen sieht er aber im Phaidros noch nirgends gegeben. Auch der große athenische Staatsmann, Stratege, Sozial- und Kulturpolitiker sowie Musiktheoretiker Perikles (490-429 v. C.), der Führer der athenischen Demokratie durch das öffentliche Wort, gilt Platon nicht als Gegenbeispiel. Dies trotz der großen Nähe Perikles' zur Philosophie, was ihm vor Gericht aufgrund ähnlicher Anklagepunkte fast dasselbe Schicksal wie Sokrates beschert hätte. [Skulptur oben, GNU FDL: Perikles, Vater und Förderer der kulturellen und wissenschaftlichen Vorrangstellung Athens]
Wie später Cicero und an anderen Stellen Plato selbst sah dies Thykidides, der große alte Mann exakter Geschichtsforschung in der europäischen Antike, anders. Er bestätigt diesem öffentlichen Sprecher par excellence, "dass er, mächtig durch sein Ansehen und seine Einsicht und in Geldangelegenheiten tadellos unbestechlich, die Masse in Freiheit bändigte, selber führend, nicht von ihr geführt, weil er nicht, um mit unsachlichen Mitteln die Führung zu erwerben, ihr zu Gefallen redete, sondern genug Ansehen hatte, ihr auch im Zorn zu widersprechen. Sooft er mindestens bemerkte, dass sie zur Unzeit sich in leichtfertiger Zuversicht überhoben, traf er sie mit seiner Rede so, dass sie vorsichtig wurden, und aus unbegründeter Furcht hob er sie wiederum auf und machte ihnen Mut.“
Wessen Erziehung und Bildung in der kulturellen Überlieferung des prophetischen Theismus des Alten und Neuen Testamentes erfolgte, wird bei der Lektüre des Gorgias oft ein Déjà-vu-Erlebnis haben: Geist und Stimmung sowie nicht selten der Wortlaut des Dialoges erinnern überraschend an Reden der Propheten oder Evangelien. So auch der im Gorgias immer wieder vorgetragene und begründete Grundsatz: Unrecht leiden ist besser als Unrecht tun.
Im Einzelnen stellt Platon im Gorgias diese Thesen auf:
Rhetorik und Philosophie sind im Wettbewerb stehende und unvereinbare Bildungsprogramme und Lebensziele.
Das Selbstverständnis der Rhetorik ist das einer Überzeugungs- und Überredungstechnik, wobei die bestehende Rhetorik gewissenlose Zungenfertigkeit ist.
Gewinnbringende Rhetorik hat die mutige Einsicht in den Vorrang der Gerechtigkeit (Ethik) vor dem Genuss (Wohlleben) zur Grundlage - im privaten wie öffentlichen Bereich.
Der Einsatz für Gerechtigkeit sollte in Gelassenheit und Vertrauen auf eine transzendente Vorsehung erfolgen.
Öffentliche Sprecher und Menschen in Führungspositionen sollten von einer transzendenten Rechenschaftsablegung über ihr Sprechen und Leben ausgehen.
Nur und genau Bildung und sittliche Hochwertigkeit befähigen zur Führung durch das Wort.
Das Skript enthält eine ausführlichere Vorstellung der platonischen Rhetorik im Dialog Gorgias.